Aurel Dahlgrün, *1989 Berlin, ist aufgewachsen in Småland, Schweden und lebt seit 2011 in Düsseldorf, wo er 2018 sein Studium der Fotografie an der Kunstakademie bei Prof. Christopher Williams abgeschlossen hat. Der Künstler setzt sich in vielfältiger Weise mit dem Medium auseinander. Vom
Wunsch motiviert, dabei auch alte Techniken wiederzubeleben, diese neu zu interpretieren und dabei möglichst viele Schritte eigenhändig durchzuführen, übersetzt er die Aufnahmen in verschiedene Reproduktionsformen - in Fotoradierungen, insbesondere Heliogravuren auf teils selbstgeschöpftem Papier, in Installationen, Silbergelatine-Abzüge auf Barytpapier und Künstlerbücher.

2015 erhielt Aurel Dahlgrün den Hogan Lovells Art Award. 2018 überzeugte seine Installation »19 weeks of water« die Jury des Ehrenhof-Preises als beste Abschlussarbeit der Düsseldorfer Absolventen: Über Monate hatte Dahlgrün die Luftfeuchtigkeit im Akademieraum gesammelt und das
kondensierte Wasser in ein flaches Becken überführt, dessen spiegelnde Oberfläche undurchsichtig und entgegen allen erkennbaren Fakten von unwägbarer Tiefe erschien und damit zur idealen Projektionsfläche für den die Installation umschreitenden Besucher wurde. In der Aufsicht verwandelte
sich die Fläche mit den immer wechselnden in ihr gespiegelten Szenerien in eine Art bewegte Fotografie. Das Museum Kunstpalast zeigt im Frühjahr 2019 eine Werkpräsentation des Künstlers.

Dahlgrün erforscht die räumliche Gegenwart, insbesondere
Übergangssituationen – so waren die Fotografien seines erstes Künstlerbuchs »Hinein, hinaus, hindurch« betitelt. Der wortspielerische Ausstellungstitel UNRESOLVED DESIRE umschreibt die uneingelöste Sehnsucht des Fotografen, die
ihn als einen Vielreisenden im Allgemeinen antreibt und für die das formwandlerische Element Wasser, sein derzeit bevorzugtes Sujet, die geeignete Metapher liefert. Von Alters her steht Wasser, der Fluss, für das unaufhaltsame Vergehen von Zeit und für Vergänglichkeit, das Meer in seiner
unermesslichen Weite für den Wunsch des Menschen, das von Sigmund Freud in seiner Abhandlung »Das Unbehagen in der Kultur« (Wien, 1930) beschriebene „ozeanische Gefühl“ des primären Narzissmus wiedererleben zu können, noch
ohne Grenze zwischen Innen- und Außenwelt.

Ähnlich wie die Motivreihe, die der schwimm- und tauchbegeisterte Künstler während seiner Auslandsreisen in freien Gewässern, aber auch in den künstlichen Wasserwelten internationaler Aquarien aufgenommen hat, wird auch seine neue Serie »Hinter Scheiben – über Wasser / Hinter Scheiben – unter Wasser« zu einer Art Reisetagebuch. Der Transfer in das klassische Medium der Heliogravur begünstigt die atmosphärische Aufladung der Motive,
die technische Perfektion und Präzision der Fotoaufnahmen erfährt einen gewollten Twist ins Ungefähre, Romantische. Die blaugrüne, ins Petrol spielende Farbigkeit der Fotogravuren verleiht ihnen einen nostalgischen Touch, ist aber auch Referenz zum dargestellten Element.

Aus einigen Fotogravuren gestaltet Aurel Dahlgrün Publikationen, die sich aufgrund einer symmetrischen Einfaltung der Seiten nur in einer entsprechend beidhändigen, synchronen Bewegung aufklappen und durchblättern lassen. Diese gespiegelte Bewegung ist inhaltlich durch die Gegenüberstellung von miteinander durch Perspektivwechsel verknüpften Motiven begründet, scheint aber auch der Geste des Schwimmers entlehnt: in
beiden Publikationen zeigt Dahlgrün Fotografien, die er auf seinen Expeditionen sowohl unter als auch oberhalb des Wassers aufgenommen hat.

Andere Aufnahmen stammen z.B. aus dem Innenraum eines Wasserkochers oder einer Waschmaschine. Die vom Künstler auch sonst häufig gewählte paarweise Anordnung der Fotos verdeutlicht Polaritäten wie Oberfläche und Tiefenraum,
Aufsicht und Untersicht, Innen und Außen - und hat auch eine Entsprechung mit der Entstehung des Bildes im menschlichen Auge, das sich ebenfalls durch Zusammensetzung der Information im Gehirn ergibt, die linkes und rechtes Auge getrennt aufnehmen.
Das neueste Künstlerbuch mit dem Titel »Strömung und Stillstand«, verlagert die Beobachtung von exotischeren Orten in die heimische Umgebung benachbarter Seen und Flüsse. Auf die Wasseroberfläche und unter Wasser fotografiert, erinnern die zweigeteilten Perspektiven an Kindheitserfahrungen, an die Faszination des Unwägbaren, die Fantasien über die verborgene Welt unter dem Wasserspiegel. In der gleichzeitigen Schau beider Ansichten enthüllt sich vieles, was sich der Beobachtung des Menschen sonst entzieht, aber dennoch dessen Einflussnahme auf Natur und Umwelt unfreiwillig ausgesetzt ist.

Seine Einwirkung gezielt zurück nimmt der Künstler in einer installativen Anordnung in ZERO FOLD. Wie auch bereits bei älteren Arbeiten recycelt Aurel Dahlgrün für seine Installation alte Fotografien, um aus den Farbpigmenten Neues zu kreieren: In einem niedriger Behälter entsteht eine Art Tinte aus geschredderten Fotos. Die zerkleinerten, in Wasser und
Chemikalien angelösten Partikel geben ihre Farbe ab, ein in das Becken getauchtes Fotopapier nimmt nach und nach die Farbe aus dem Behältnis auf. Langsam steigt die Horizontlinie auf dem Papierbogen empor, mit dem von der aktuellen Luftfeuchtigkeit und Temperatur im Ausstellungsraum bestimmten Tempo und in durch neue Reaktion mit dem Licht veränderter Farbe. Der Künstler gibt hier bewusst Kontrolle an die Medien selbst ab und ist interessiert an der Prozesshaftigkeit der Installation – und so gibt es auch hier wieder einen Transit über den Zeitraum der Ausstellungslaufzeit zu beobachten.

Die Momentaufnahmen der aktuellen Serie »Tür und Angel«, mit denen Aurel Dahlgrün den ZERO FOLDER gestaltet hat, stehen ebenfalls für Schwellensituationen. Sie entspringen nicht der Natur, sondern sind während des Unterwegsseins aus diversen Transportmitteln fotografiert – Bus, Bahn,
Auto, Flugzeug oder Fähre.