VLADIMIR TARASOV · Shehina (2003/2018)
RALF SCHREIBER · sleeping bees (2018)
OXANA OMELCHUK · CAR WASH WATER (2018)

Joni Mitchell musste 1970 erkennen, dass das, was man vermisst, ist es erst weg, vorher offensichtlich da war, obwohl man es nicht recht gesehen hatte. Zwölf Jahre später* war der kleine Maulwurf (Krtek) schon schlauer, denn bevor alles weg war, wusste er schon, dass, wäre erst alles verschwunden was er so liebte, würde 'vermissen' ein viel zu kleines Wort sein. Während Joni Mitchell die (vielleicht oder zumindest halb) geschlossenen Augen geöffnet wurden, reagierte der Maulwurf umgekehrt und schloss sie beharrlich. Nicht, dass es ihm genützt hätte, aber eine gewisse Entwicklung darf man dem nicht absprechen. Unterm Strich hatte der kleine Maulwurf mehr Glück, konnte er doch im Finale seine Freunde mitnehmen und verlor sie nicht an ein großes gelbes Auto.

Don't it always seem to go
That you don't know what you've got till it's gone?
They paved paradise
Put up a parking lot****

Late last night
I heard the screen door slam
And a big yellow taxi
Took away my old man
Took away my old man****

Ob dieses Auto wirklich ein Taxi war, das – gelb oder blau – nebenbei die Freiheit (wessen?) verkörperte oder ob es das Gegenteil** des Taxis war – nur gelb statt blau – und zum Schutz der Freiheit (wessen?) eingesetzt wurde, ob das Individuum***, das es lenkte dadurch (eigene? finanzielle?) Freiheit erlangte (im Schutze einer Gewerkschaft) oder (fremde, wessen?) Freiheit erwirtschaftete (auf dem entfesselten freien Markt), darf getrost im Interpretations-Roulette verspielt und verloren werden.

Was nie verloren geht und auch nicht verspielt werden kann ist die Sehnsucht: die Sehnsucht nach der Freiheit IM Paradies. Ob dieses Paradies (welches?) überhaupt schon einmal da war (wo?) oder durch das Versprechen (wessen?) erst entdeckt (wann?) wurde und ob Freiheit (wieviel?) nur durch Verlust (welchen?) überhaupt erst erscheint (wo?) darf beiseite gerückt werden, um den Blick frei auf Vladimir Tarasov zu richten, der unsere Sehnsucht mit seiner Freiheit und seinem Paradies (oder ist es dasselbe?) stillt. Nicht weniger aber auch nicht mehr, dafür aber jetzt sofort.

Vom Verlorengegangensein kann nicht nur Joni Mitchell ein Liedchen singen****, sondern vor allem die von ihr so geliebten Vögel und Bienen. Sind sie es doch, die noch vor dem Maulwurf bei der Verfeinerung des Paradieses durch D.D.T. (1970) und Glyphosat (2018) als erste der Endlichkeit ins Auge geschaut haben werden.

Hey farmer farmer
Put away that D.D.T. now
Give me spots on my apples
But leave me the birds and the bees Please****

Auch dem Taxi wird der Weg in die Ewigkeit wohl schon bald versperrt geblieben sein.* Denn den Transport der Zukunft (der Güter**, der Freiheit, der Machtausübung und der final übriggebliebenen Menschen) übernahmen Andere, Schnellere, Perfektere. Dass sie alle drei - die Vögel, die Bienen und die Taxis - einst in Windeseile und kongenialer Vereinigung die Welt würden erobert haben, hätte Ihre Verschwindung kaum gelindert. Nicht mal die der Bienen, die wenigstens im Namen glorreich triumphierten.*** Der Übertrag von Natur in Technik - unvermeidbar beim Rückgang ersterer - machte nicht zuletzt die Technik selbst schwindelig. Und so werden die Schwerelosigkeit der Robotik, die Sauberkeit der Solarenergie und die Poesie der Elektronik ehrfürchtig auf den Künstler Ralf Schreiber zurückblicken, der ihnen schon zu Beginn des 21. Jahrhunderts die Furcht vor Fremdeinwirkung genommen hatte.

Vielleicht stand das große Finale im 21. Jahrhundert (in welchem?) bereits an und wurde nur wegen Unzulänglichkeit (der Menschheit, der Technik, der Taxis) verschoben? Folgt die Devolution, weil die Evolution nur medium-erfolgreich war? Geht es von den Bäumen zurück ins Wasser? Man könnte meinen, es wäre so gewesen, da vor jedem Finale**** immer eine Reinigung steht. Denn wenn wir schon nackt (was erwiesen ist) vor den Herrn treten sollen (was sich noch zu erweisen hat), dann mindestens sauber. So oder so keine schlechte Idee, tausendfach trainiert und damit einfach und logisch umsetzbar. Und als Stellvertreterreinigung***** allein schon sinnvoll, um der Unmittelbarkeit** zu trotzen: Wiegt uns Oxana Omelchuk in Sicherheit oder führt sie uns historisierend in die Wiedergeburt?** Die getrocknet (die Wiedergeburt) dann nicht notwendiger- weise zeitkausal** verlaufen muss. Verlieren wir nicht den Boden unter den Füßen, sondern geben uns dem Klang (und dem bunten Rest) hin, als sei es das vorletzte Mal.

They paved paradise
Put up a parking lot
With a pink hotel, a boutique
And a swinging hot spot****

They took all the trees
Put 'em in a tree museum
And they charged the people
A dollar and a half just to see 'em****

Verlassen wir unser altbackenes Zeitkonstrukt (Devolution geht deutlich schneller als Evolution*****), verlassen wir Krumholzzone und Baumgrenze und stellen uns auf einen einfachen Perspektivwechsel ein: der aufrechte Gang war gestern! Nix Bäume, nix Dollar, nix Taxi aber immerhin noch ein bisschen Maulwurf. Je eher wir dies tun, desto länger haben wir Zeit, dem Prozess des Graswachsens aufmerksam zuzuhören und ihm nicht nur der Lächerlichkeit auszusetzen.

Es ist ein Unterschied, ob man sich entschleunigt, indem man sich die Fersen abgehackt**, oder freiwillig-antizipatorisch in eine ungewohnte aber sinnvolle Lage begibt, deren Einnahme schon jetzt die beste Vorbereitung und Übungsmöglichkeit beinhaltet. Worin sich Künstler und Kurator übrigens erstmal einig sind. q.e.d.

18.07.2018 · Mi 18.30h
OPENING/FINALE