„Seelen malt man nicht“ ist ein Zitat aus Jean-Marie Straub und Danièle Huillets Film „Une visite au Louvre“. Der junge Joachim Gasquet begleitet Cézanne bei seinen regelmäßigen Besuchen in das Pariser Louvre-Museum, über das der Maler in einem Brief schrieb: „Der Louvre ist das Buch, in dem wir lesen lernen. Doch dürfen wir uns nicht damit begnügen, die schönen Formeln unserer Vorgänger beizubehalten. Suchen wir, uns von ihnen zu entfernen, um die schöne Natur zu studieren; trachten wir danach, den Geist zu erfassen, und bemühen wir uns, uns unserem persönlichen Temperament entsprechend auszudrücken“. Das französische Filmemacherpaar Straub/Huillet widmete dem Maler in Folge zwei Filme: „Cézanne“ (1989, dt. Fassung: Paul Cézanne im Gespräch mit Joachim Gasquet) und fünfzehn Jahre später „Une visite au Louvre“ (2004).

Für den ersten Film wurden Straub/Huillet (1933 in Metz/Paris 1936-2006 Cholet) vom Pariser Musée d’Orsay eingeladen, ein Porträt über den jungen Cézanne zu drehen. Sie entschieden dagegen und konzentrierten sich auf den letzten Lebensabschnitt zwischen Frühling 1896, als der 57-jährige Cézanne den jungen Joachim Gasquet traf, er sich seinem 'motif' der Montagne Sainte-Victoire widmete, und 1906, als der Maler starb. Das war zu der Zeit, von der Gasquet erzählt, er habe auf der Straße gehört, wie hinter dem Rücken von Cézanne Leute sagten: „Solche Maler sollte man erschießen“. Eine ähnlich harsche Kritik und Unverständnis traf auch das filmische Werk der ‚Straubs’.

Joachim Gasquet, Schriftsteller und Kunstkritiker, war Sohn eines Schulfreundes von Cézanne aus Aix-en-Provence. Aus den gemeinsamen Besuchen im Louvre entstand eine Freundschaft, die sich in Briefen, Gesprächen und 1921 in Gasquets zweibändigem Buch „Cézanne“ niederschlug. Letzteres bildet auch die inhaltliche Grundlage für den Nachfolgerfilm „Ein Besuch im Louvre“, in dem Cézanne weniger über seine Lehre spricht als über Künstler und Traditionen, die sein Werk beeinflusst haben. Gemeinsam gehen sie durch das Museum von Tintorettos idealer, vibrierender Malerei des Himmels zu Courbet, dem Maler der Commune, dem Maler der Erde. Cézannes Kommentare spiegeln dabei nicht nur seinen persönlichen Geschmack wieder, sondern eine uralte Debatte in der Geschichte der Malerei. Die Filmemacher Straub/Huillet demonstrieren ihre Komplizenschaft mit Cézannes Beobachtungen, indem sie beispielsweise dann Schwarzbilder einsetzen, um Werke von Künstlerkollegen zu verdecken, die er vehement ablehnt. Vor Werken, die Cézanne jedoch bewundert, dehnen sie ihre eigene Bewunderung unendlich aus, indem sie die Kamera nah ans Bild heranführen, um jedes einzelne Detail einzufangen und dort unbeirrt zu verharren. In beiden Filmen wird so ein Ausblick eröffnet, was Malerei heute sein könnte – ein Ausblick, wie ihn nur wenige in den letzten Jahrzehnten innerhalb ihrer Malerei aufzeigen konnten.

Die Ausstellung „Seelen malt man nicht“ beginnt mit der Fragestellung, was Malerei ist, und leitet sie durch das Medium Film in einen weiter gefassten Diskurs, der das Verhältnis von Malerei, Fotografie und Film (Stand- und Bewegtbild) untersucht. Dafür präsentiert sie Werke und Archivalien von ausgewählten Künstlern, die mögliche Antworten, Weiterführungen oder Infragestellungen derselben formulieren und insbesondere das Thema von Bildbetrachtung, Bildbeschreibung und Bildkritik in den Blick nehmen. Danièle Huillet schrieb in einem Entwurf zu dem Filmprojekt: „Wir werden wieder sehen müssen, besser sehen, wirklich sehen, Leinwände, die wir nicht kennen, und Cézanne wird uns dabei helfen, mit seinem durchdringenden Blick.“ In einer Welt, in der Bilder hergestellt werden, um als Waffen Seelen zu verletzen, ist Straub/Huillets konzentrierte Bewegung hin zur Malerei eine entschieden politische Tat und somit aktueller denn je.